Chodorkowski in Berlin
http://www.berliner-zeitung.de/politik/begnadigung-durch-putin-chodorkowski-in-berlin,10808018,25684070.html
Michail Chodorkowski wird unmittelbar nach der Begnadigung
durch Putin aus der Haft entlassen. Der frühere deutsche Außenminister
Hans-Dietrich Genscher nimmt ihn in Berlin
in Empfang.
Michail Chodorkowski ist in Deutschland. Der am Freitagmorgen aus der Haft entlassene
Kreml-Kritiker landete am Nachmittag auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld. Der
frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher nahm Chodorkowski in
Empfang. Er hatte auch den Privatjet organisiert, der Chodorkowski aus St.
Petersburg nach Berlin brachte.
Nach mehr
als zehn Jahren Haft war der frühere Chef des inzwischen zerschlagenen
russischen Ölkonzerns Yukos von Russlands Präsident Wladimir Putin begnadigt
und aus dem karelischen Straflager Segescha entlassen worden. Die
Strafvollzugsbehörde gab an, Chodorkowski habe nach seiner Freilassung
persönlich um Reisepapiere gebeten, um das Land
verlassen zu können. Er
hätte regulär nach zwei international umstrittenen Urteilen im August 2014
wieder in Freiheit kommen sollen. Vermutungen, dass seine Ausreise eine
Bedingung des Gnadenaktes von Putin war, trat Kreml-Sprecher Dmitri Peskow
entgegen: „Niemand kann einem russischen Bürger die Rückkehr nach Russland
verbieten.“
Chodorkowski
hat nach eigenen Angaben selbst um seine Freilassung gebeten. „Am 12. November habe ich mich an den russischen Präsidenten mit der Bitte um
Begnadigung aus familiären Gründen gewandt und bin froh über die positive
Entscheidung“, heißt es in einer Erklärung auf seiner Internet-Seite. Seine Mutter
ist an Krebs erkrankt.
Merkel
begrüßt Freilassung
Offenbar
erfolgte die Ausreise in enger Absprache mit dem Kanzleramt. Angela Merkel
begrüßte die Haftentlassung. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte am
Freitag mit, Merkel habe sich wiederholt beim russischen Präsidenten für die
Freilassung Chodorkowskis eingesetzt. Merkel erklärte am Rande des EU-Gipfels
mit Blick auf Russland, es gebe „ein Fenster der Möglichkeiten“. Russland
bleibe ein strategischer Partner. Es werde „weitere Diskussionen über andere
Punkte geben, in denen wir sicher noch unterschiedliche Meinungen haben“.
Zugleich
würdigte die Kanzlerin die Bemühungen von Ex-Außenminister Hans-Dietrich
Genscher (FDP), der sich hinter den Kulissen intensiv um den Fall gekümmert
habe. In einer in Berlin verbreiteten Erklärung dankte Genscher Putin, dass er
ihn auf seine Bitte hin zweimal empfangen habe, um über den Fall mit ihm zu
sprechen. Das Gnadengesuch Chodorkowskis habe er mit einem eigenen Brief
weitergereicht. Nach ARD-Informationen war Genscher seit mehr als zwei Jahren
mit der Angelegenheit befasst.
Genscher:
"Ein wichtiges Signal"
Der
frühere Außenminister nannte die Freilassung „ein wichtiges Signal – und auch
ein ermutigendes sicher auch für andere, die auf einen solchen Akt noch
hoffen“. Er glaube nicht, dass die Freilassung eine Inszenierung sei.
Chodorkowski sei erschöpft, aber sehr glücklich, in Freiheit zu sein. An diesem
Sonnabend erwarte er seine Familie in Berlin. Chodorkowski hat ein Zimmer im
Hotel „Adlon“ bezogen. In deutschen Regierungskreisen hieß es, Chodorkowski
könne sich in Deutschland frei bewegen und habe hier hinreichend Zeit, sein
neues Leben in Freiheit zu planen. (mit dpa, Reuters)
Chodorkowski will nicht in die Politik
http://www.berliner-zeitung.de/politik/kreml-kritiker-in-berlin-chodorkowski-will-nicht-in-die-politik,10808018,25713422.html
Der
Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski erteilt der Opposition eine Absage: Er
werde nicht um die Macht in Russland kämpfen. Stattdessen will er sich erst
einmal für andere Gefangene einsetzen.
Der
frühere Ölmilliardär Michail Chodorkowski hat ausgeschlossen, dass er den
russischen Präsidenten Wladimir Putin politisch herausfordern werde. „Ich werde
mich nicht politisch betätigen, wenn man darunter den Kampf um die Macht
versteht“, sagte er am Sonntag vor Journalisten in Berlin. Auch eine
Finanzierung der Opposition komme nicht mehr in Frage, schon weil ihm dafür
heute die Mittel fehlten. Gleichzeitig kündigte er an, er wolle sich mit aller
Kraft für die Freilassung der anderen politischen Gefangenen in Russland einsetzen.
Dies sei er ihnen schuldig.
Chodorkowski war am Freitag nach zehn Jahren Haft von Putin
begnadigt worden und noch am gleichen Tag nach Deutschland ausgereist. Sein Gnadengesuch sei kein
Schuldeingeständnis, bekräftigte der Putin-Kritiker. Dies sei für ihn nie in
Frage gekommen. Seine Bitte um Freilassung habe ausschließlich familiäre Gründe
gehabt. Chodorkowski war als Hauptaktionär des Yukos-Konzerns zweimal in
umstrittenen Verfahren wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Öldiebstahls
zu Lagerhaft verurteilt worden. Die russische Staatsanwaltschaft hatte ihm ein
drittes Verfahren angedroht.
Seine
Freilassung sei kein Symbol für Veränderungen in Russland, betonte
Chodorkowski. „Sie ist jedoch ein Symbol dafür, dass die Anstrengungen der
Zivilgesellschaft dazu führen können, dass politische Gefangene ihre Freiheit
erlangen.“ Der Westen dürfe diejenigen nicht vergessen, die unschuldig in
russischen Gefängnissen säßen.
Der Fall
Yukos sei für ihn endgültig abgeschlossen, erklärte Chodorkowski weiter. Er
werde nicht um seine Anteile an der Firma kämpfen, die in einer fragwürdigen
Auktion vom Staatskonzern Rosneft übernommen worden waren. Seine finanzielle
Situation sei so, dass er nicht mehr ins aktive Geschäftsleben einsteigen
müsse, sagte der frühere Oligarch auf eine Frage. Es wird spekuliert, dass sich
sein Vermögen noch immer auf einen dreistelligen Millionenbetrag beläuft.
Ausdrücklich
dankte Chodorkowski noch einmal dem früheren deutschen Außenminister
Hans-Dietrich Genscher und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ohne deren
Anstrengungen wäre er jetzt nicht in Freiheit, sagte er. Genscher hatte in
geheimen Verhandlungen, zu denen auch zwei Treffen mit Putin gehörten, die
Freilassung Chodorkowskis erwirkt und ihn am Freitag in Berlin empfangen. Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier sagte am Wochenende zu Spekulationen über die
Entscheidung Putins für die Begnadigung: „Unabhängig davon, was die Motive
waren, es sind gute Entscheidungen, die in Moskau in diesen Tagen gefallen
sind.“
Chodorkowski
wandte sich ausdrücklich gegen einen Boykott der olympischen Winterspiele in
Sotschi. „Die Spiele sind ein Fest des Sportes für Millionen Menschen“, sagte
er. „Dieses Fest sollte man den Menschen nicht verderben.“ Bundespräsident
Joachim Gauck hatte kürzlich seine Reise nach Sotschi ohne Angabe von Gründen abgesagt.
Am Wochenende hatte sich Chodorkowski im Hotel „Adlon“
erstmals in Freiheit mit seinen Eltern und seinem ältesten Sohn getroffen. Eine
rasche Rückkehr nach Russland schloss er aus. Da die Justizbehörden die
Verfahren noch nicht formell abgeschlossen hätten, gebe es keine Garantie, dass
er nach einer Einreise auch jederzeit wieder ausreisen könne, sagte
Chodorkowski. Die
Entscheidung, wo er künftig leben werde, treffe er gemeinsam mit seiner
Familie.