Autor: admin
Datum objave: 22.06.2013
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Don Winslow und der Präsident in Fesseln

Erinnerung an einen Zwei-Jahres-Präsidenten

Don Winslow und der Präsident in Fesseln

http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article117349727/Don-Winslow-und-der-Praesident-in-Fesseln.html

Er gilt als Homer der Drogenkartelle und Surfer. In "Manhattan" erzählt Don Winslow eine andere Geschichte: Es ist ein Schlüsselroman über die Kennedys und ein Liebeslied an New York.  Von  Elmar Krekeler 

Manchmal, da fragt man sich schon, ob es nicht doch irgendso einen Gott gibt, der einem gerade zur rechten Zeit das richtige Buch auf den Nacht-, Wohnzimmer- oder Schreibtisch legt. Eins, das man gerade jetzt braucht.

 

Diese Woche zum Beispiel. Da geht es – in Don Winslows "Manhattan" – um einen jungen smarten Senator, der mal Präsident werden will. Eine schöne Frau hat er. Mit ihm soll eine weltgeschichtliche Etappe zu Ende gehen, die Welt besser werden.

 

Die Hoffnungen fliegen ihm zu und die Herzen. Kann er alles nicht erfüllen. Weil da auf einmal eine blonde Frau tot im Hotelzimmer liegt. Und weil er, bevor er noch gewählt ist, sich verfangen hat in einem Netzwerk aus Erpressungen, Abhängigkeiten, persönlichen Schwächen, aus dem, was man Realität nennt und an dem man nur scheitern kann. Besser gesagt: an dem die Erwartungen, Hoffnungen nur zerschellen können.

 

Erinnerung an einen Zwei-Jahres-Präsidenten

 

Tut ganz gut in der Obama-Woche, noch einmal zu lesen, dass der andere Popstar unter den amerikanischen Präsidenten, der Zwei-Jahres-Präsident John F. Kennedy, möglicherweise genauso gut von den Zwängen, die das Machtausüben gerade in den Vereinigten Staaten so mit sich bringt, entzaubert worden wäre.

 

Die Spuren hin zu diesem Scheitern waren gelegt, schreibt Don Winslow in seinem frühen Roman, der 1997 bereits bei Piper auf Deutsch erschienen ist. Denn hinter Winslows Joe Kenneally, dem möglicherweise bald ersten katholischen US-Präsidenten, seiner Gattin Madeleine und seinem Bruder Jimmy nicht Jack, Jackie und Robert zu erkennen, muss man schon annähernd gehirntot sein.

 

Winslow begleitet sie in Person seines Privatdetektivs Walter Withers ein paar kalte Tage lang, zwischen dem Weihnachtsabend 1958 und Neujahr. Lang genug, dass man weiß, dass Winslow so viel Bewunderung wie Abscheu im Hinterkopf trägt für JFK, dass Joe Kenneally nie wird frei regieren können und die Ehe der Kenneallys geradezu zwangsläufig in einer Katastrophe enden wird.

 

Weihnacht auf der Insel der Seligen

 

Kehren wir aber zu Walter Withers zurück. Und nach Manhattan, die – so der Originaltitel – "Isle of Joy", die Insel der Seligen, die Withers, der allzu lange in Europa war, wo er für die CIA als Hurendompteur tätig war und Agenten durch Sex und Erpressung gefügig machte, liebt, wie er kein Land, keine Frau jemals lieben könnte.

 

Winslow, den man in Deutschland sozusagen von vorne nach hinten kennenzulernen beginnt, von den "Kings of Cool" rückwärts in der Werkliste in die Neunziger, nimmt in "Manhattan" 1996 Abschied von seiner Heimatstadt, bevor er auch literarisch umzieht an die Westküste, um dort der Homer der Drogenkartelle und Surfer zu werden.

 

Hier ist nichts "Fuck you", hier fehlen die Sekundenschnitte, der Versuch, ein Genre so weit auszudehnen, dass mit ihm alles möglich ist. "Manhattan" ist, verglichen mit "Zeit des Zorns", seinem besten und wildesten, explosivsten Buch, konventionell.

 

Capote, Bernstein und der junge Senator

 

Aber erstens sind das, verglichen mit "Zeit des Zorns", mindestens neunzig Prozent der Krimiware, und zweitens schreiben wir in "Manhattan" eben die späten Fünfziger. Jazz-Zeitalter und Beat-Ära überlappen sich, die Dienste spähen sich (noch eine bemerkenswerte Aktualität) geradezu krankhaft aus, Politik und Bohème gehen noch im Engtanz, man sieht Kenneally und Capote und Leonard Bernstein.

 

Im Land werden währenddessen Kommunisten gehetzt, in der Welt entwickelt die Mechanik des Kalten Krieges immer mehr Reibungshitze. Die Reibungshitze, die der angehende Präsident vor allem erzeugt, ist naturgemäß eine sehr andere.

 

Walter Withers, ein smarter, liebenswerter Spion, den man auch gern durch mehrere Romane begleiten würde, arbeitet, seit er den Dienst in der CIA quittiert hat, bei Forbes & Forbes, einer "Fabrik für Personalüberwachungen", die im Auftrag der Industrie potenzielles Führungspersonal auf persönliche Unbedenklichkeit hin ausspionieren lässt. Liiert ist er mit der schönen Sängerin Anne Blanchard, die all die hässlichen Sätze über Kenneally sagen darf, die Winslow immer schon über Kennedy loswerden wollte.

 

Ein Detektiv im Dienst der Liebe

 

 

Über Weihnachten soll Withers nun die Kenneallys, vor allem Madeleine, absichern und – wie sich herausstellt – die zukünftige Präsidentin fernhalten vom Liebesspielplatz des Gatten.

 

Und dann geht alles sagenhaft schief. Withers, der perfekte Bürohengst, der ideale Angestellte, der gern im Hintergrund bleibt, der Jongleur ist, wird zunehmend zum Spielball einer finsteren Geschichte, die ihm sämtliche Gewissheiten seines Lebens unter den eleganten Schuhen wegzieht. Von seiner unverbrüchlichen Liebe zu der Stadt, durch die er staunend strömt, Leute verfolgt, gejagt wird, einmal abgesehen.

 

Es ist eine Stadt im Wandel, eine Gesellschaft im Wandel, im Aufbruch in die Moderne, in den Fängen der alten Zeit. Es geht um neue Drogen und die alte Mafia, es geht um Schwule, um die Verstrickung der Dienste. Es ist Agententhriller, Detektivroman und Liebesgeschichte in einem.

 

Der Rhythmus ist fabelhaft. Für die Dialoge müsste man einen Preis vergeben. Die Figuren leuchten. Man möchte sich sofort den Soundtrack zusammenklauben, Cole Porter, Ella Fitzgerald, Richard Rogers. "Frühstück bei Tiffany's" noch einmal lesen. Und losfliegen nach Manhattan. Aber an der Spree ist's ja auch nicht so schlecht.

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Kategorije: Zanimljivosti
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