Don Winslow und der Präsident in Fesseln
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Er gilt als Homer der Drogenkartelle und Surfer. In "Manhattan" erzählt Don Winslow eine andere
Geschichte: Es ist ein Schlüsselroman über die Kennedys und ein Liebeslied an New York. Von
Elmar Krekeler
Manchmal, da fragt man sich schon, ob es nicht doch irgendso
einen Gott gibt, der einem gerade zur rechten Zeit das richtige Buch auf den
Nacht-, Wohnzimmer- oder Schreibtisch legt. Eins, das man gerade jetzt braucht.
Diese Woche zum Beispiel. Da geht es – in Don Winslows
"Manhattan" – um einen jungen smarten Senator, der mal Präsident
werden will. Eine schöne Frau hat er. Mit ihm soll eine weltgeschichtliche
Etappe zu Ende gehen, die Welt besser werden.
Die Hoffnungen fliegen ihm zu und die Herzen. Kann er alles
nicht erfüllen. Weil da auf einmal eine blonde Frau tot im Hotelzimmer liegt.
Und weil er, bevor er noch gewählt ist, sich verfangen hat in einem Netzwerk
aus Erpressungen, Abhängigkeiten, persönlichen Schwächen, aus dem, was man
Realität nennt und an dem man nur scheitern kann. Besser gesagt: an dem die
Erwartungen, Hoffnungen nur zerschellen können.
Erinnerung an einen Zwei-Jahres-Präsidenten
Tut ganz gut in der Obama-Woche, noch einmal zu lesen, dass
der andere Popstar unter den amerikanischen Präsidenten, der
Zwei-Jahres-Präsident John F. Kennedy, möglicherweise genauso gut von den
Zwängen, die das Machtausüben gerade in den Vereinigten Staaten so mit sich
bringt, entzaubert worden wäre.
Die Spuren hin zu diesem Scheitern waren gelegt, schreibt
Don Winslow in seinem frühen Roman, der 1997 bereits bei Piper auf Deutsch
erschienen ist. Denn hinter Winslows Joe Kenneally, dem möglicherweise bald
ersten katholischen US-Präsidenten, seiner Gattin Madeleine und seinem Bruder
Jimmy nicht Jack, Jackie und Robert zu erkennen, muss man schon annähernd
gehirntot sein.
Winslow begleitet sie in Person seines Privatdetektivs
Walter Withers ein paar kalte Tage lang, zwischen dem Weihnachtsabend 1958 und
Neujahr. Lang genug, dass man weiß, dass Winslow so viel Bewunderung wie
Abscheu im Hinterkopf trägt für JFK, dass Joe Kenneally nie wird frei regieren
können und die Ehe der Kenneallys geradezu zwangsläufig in einer Katastrophe
enden wird.
Weihnacht auf der Insel der Seligen
Kehren wir aber zu Walter Withers zurück. Und nach
Manhattan, die – so der Originaltitel – "Isle of Joy", die Insel der
Seligen, die Withers, der allzu lange in Europa war, wo er für die CIA als
Hurendompteur tätig war und Agenten durch Sex und Erpressung gefügig machte,
liebt, wie er kein Land, keine Frau jemals lieben könnte.
Winslow, den man in Deutschland sozusagen von vorne nach
hinten kennenzulernen beginnt, von den "Kings of Cool" rückwärts in
der Werkliste in die Neunziger, nimmt in "Manhattan" 1996 Abschied
von seiner Heimatstadt, bevor er auch literarisch umzieht an die Westküste, um
dort der Homer der Drogenkartelle und Surfer zu werden.
Hier ist nichts "Fuck you", hier fehlen die
Sekundenschnitte, der Versuch, ein Genre so weit auszudehnen, dass mit ihm
alles möglich ist. "Manhattan"
ist, verglichen mit "Zeit des Zorns", seinem besten und wildesten,
explosivsten Buch, konventionell.
Capote, Bernstein und der junge Senator
Aber erstens sind das, verglichen mit "Zeit des
Zorns", mindestens neunzig Prozent der Krimiware, und zweitens schreiben
wir in "Manhattan"
eben die späten Fünfziger. Jazz-Zeitalter und Beat-Ära überlappen sich, die Dienste
spähen sich (noch eine bemerkenswerte Aktualität) geradezu krankhaft aus,
Politik und Bohème gehen noch im Engtanz, man sieht Kenneally und Capote und
Leonard Bernstein.
Im Land werden währenddessen Kommunisten gehetzt, in der
Welt entwickelt die Mechanik des Kalten Krieges immer mehr Reibungshitze. Die
Reibungshitze, die der angehende Präsident vor allem erzeugt, ist naturgemäß
eine sehr andere.
Walter Withers, ein smarter, liebenswerter Spion, den man
auch gern durch mehrere Romane begleiten würde, arbeitet, seit er den Dienst in
der CIA quittiert hat, bei Forbes & Forbes, einer "Fabrik für
Personalüberwachungen", die im Auftrag der Industrie potenzielles
Führungspersonal auf persönliche Unbedenklichkeit hin ausspionieren lässt. Liiert
ist er mit der schönen Sängerin Anne Blanchard, die all die hässlichen Sätze
über Kenneally sagen darf, die Winslow immer schon über Kennedy loswerden
wollte.
Ein Detektiv im Dienst der Liebe
Über Weihnachten soll Withers nun die Kenneallys, vor allem
Madeleine, absichern und – wie sich herausstellt – die zukünftige Präsidentin
fernhalten vom Liebesspielplatz des Gatten.
Und dann geht alles sagenhaft schief. Withers, der perfekte
Bürohengst, der ideale Angestellte, der gern im Hintergrund bleibt, der
Jongleur ist, wird zunehmend zum Spielball einer finsteren Geschichte, die ihm
sämtliche Gewissheiten seines Lebens unter den eleganten Schuhen wegzieht. Von
seiner unverbrüchlichen Liebe zu der Stadt, durch die er staunend strömt, Leute
verfolgt, gejagt wird, einmal abgesehen.
Es ist eine Stadt im Wandel, eine Gesellschaft im Wandel, im
Aufbruch in die Moderne, in den Fängen der alten Zeit. Es geht um neue Drogen
und die alte Mafia, es geht um Schwule, um die Verstrickung der Dienste. Es ist
Agententhriller, Detektivroman und Liebesgeschichte in einem.
Der Rhythmus ist fabelhaft. Für die Dialoge müsste man einen
Preis vergeben. Die Figuren leuchten. Man möchte sich sofort den Soundtrack
zusammenklauben, Cole Porter, Ella Fitzgerald, Richard Rogers. "Frühstück
bei Tiffany's" noch einmal lesen. Und losfliegen nach Manhattan. Aber an der Spree
ist's ja auch nicht so schlecht.